Pfarr- und Kirchengeschichte St. Radegund bei Graz
Die Witwe nach Hartnid I. von Ort vermählte sich in zweiter Ehe mit Wulfing von Stubenberg. Damit kamen die Stubenberger in verwandtschaftliche Beziehung zu den Ortern und es besaßen also die Stubenberger – auch der Schöcklsage nach – schon zur Zeit der Kreuzzüge Güter am Schöckl.
Abermals durch eine Heirat kam es auch zu besitzmäßigen Beziehungen der Stubenberger zu den Herren von Graz. Aus der Ehe Dietmars von Graz mit einer Orterin entsprossen zwei Söhne: Otto und Ortolf. Und mit diesen beiden Namen setzt nun die Geschichte von St. Radegund ein.
Als Ortolf von Graz in das Stift Admont eintrat, brachte er für Lebensunterhalt und Ausstattung Güter mit. Diese Güter lagen aber mit denen seines Bruders vermengt, und es kam zu Misstrauen und Streit. Um solches aus der Welt zu schaffen, schloss man am Christtag des Jahres 1185 einen Tauschvertrag. Dieser bestimmte: Das Kloster Admont gibt als Ausgleich von seinen Gütern in Diepoldisberge (Diepoldsberg) sechs Huben und bei der zu erbauenden Kirche freiwillig zwei Huben. In der Bestätigungsurkunde von 1186 erscheint die Kirche bereits als erbaut.
Bauherr und Erbauer war ohne Zweifel Otto von Graz, das Kirchlein vielleicht noch klein und nur aus Holz. Ob es schon an der Stelle der jetzigen Kirche stand oder am Fuße des Kalvarienberges, wo eine sagenhafte Kapelle von frommen Waldbrüdern erbaut worden sein soll, beantwortet die Chronik nicht. Aus der Unregelmäßigkeit des Grundrisses der Kirche könnte vermutet werden, dass hier wohl die alte Kirche endete und sie im Jahre 1490 nur verlängert und eingewölbt worden war. Die Jahreszahlen dieses Umbaus nennen mit 1490 dessen Beginn, mit 1513 seine Vollendung. Der Name des unbekannten Erbauers ist mit den Initialen P. L. verewigt.
Kehren wir aber zurück zu den Anfangsdaten der Kirchen- und Pfarrgründung. Beschränkte Pfarrrechte, nämlich das Tauf- und Begräbnisrecht, können schon für das Jahr 1197 angenommen werden. Zu dieser Zeit gehören auch schon die umliegenden Ortschaften, nämlich: Ebergersdorf (Ebersdorf), Dypoltsberg, Willehalmsdorf (Willersdorf), Stocharn (Stockheim), Hof (Höferbach), Mairhov (Maierhöfen), Tensenreut (Stenzengreith), zur Pfarre am „Schekl“, die hiemit auch damals schon beinahe dieselbe Ausdehnung zeigt wie heute. Lediglich Plenzengreith, Kickenheim und Rinnegg scheinen nicht auf. In den Urbaren allerdings wird die Pfarrgründung erst hundert Jahre später zur Kenntnis genommen, und auch St. Radegundis wird erst 1295 als Pfarrpatronin genannt. Diese Heilige wurde im Jahre 520 als Tochter des Thüringerkönigs Berthar geboren. Nach dem Tode des Vaters wurde sie als Kriegsbeute nach Frankreich gebracht und dort erzogen. Der Frankenkönig Chlothar I. zwang sie zur Ehe mit ihm und ließ sie im Jahre 540 zur Königin krönen. Als der König ihren Bruder ermordete, floh sie nach Poitiers. Sie baute dort ein Kloster, in das sie selbst eintrat und in dem sie bis zu ihrem Tod im Jahre 587 als Nonne blieb.
Seit dem Jahre 1295 erscheint deren Name unserer Pfarre immer wieder in Urkunden, sie nennen deren Pfarrer und ihre „Gesellen“ und geben damit glaubhaftes Zeugnis vom Werden unserer Heimatpfarre.
Viel später, nämlich in einer Urkunde des Jahres 1403 wird erstmals der Name des Pfarrdorfes genannt. Es ist dies in jener Urkunde, die die Verteilung der Güter nach Ott, dem Älteren von Stubenberg aufzeichnet.
Danach fiel „das Radigundtstarff da auch der smid aufsiczt“ an die Brüder Jakob und Wulfing von Stubenberg gemeinsam. Das „Radigundtstarff“ war also so klein und bedeutungslos, dass nur ein Untertan als die markanteste Persönlichkeit genannt wird, der Schmied.
Mit dem Jahr 1490 melden die Urkunden den Beginn des Kirchenbaues in seiner jetzigen Form. Wie schon erwähnt, ist anzunehmen, dass es sich dabei um den Ausbau der alten Kirche handelte. Bauherr war der Seckauer Bischof Mathias Scheidt, bestätigt durch sein Wappen, das neben dem des Bistums zu sehen ist.
Innenausstattung
Da die arme Bergpfarre für die Innenausstattung der neuen Kirche wahrscheinlich nicht viel tun konnte, stattete der Bischof sie neu aus. In der Turmkapelle ließ er einen gotischen Flügelaltar als Altaraufsatz an die Wand malen. Eine Wandnische bot einen geeigneten Raum für die Unterbringung des Altarschreines, daran schlossen sich rechts und links die Flügel mit dem Pfeil durchbohrten St. Sebastian und St. Andreas mit dem Kreuz.
Im Altarschrein Maria mit dem Leichnam Jesu auf dem Schoß, umgeben von Johannes und Magdalens. Zu Füßen ein kniender Ritter und, wie das Wappen vermeldet, der Bischof Scheidt selbst als Stifter. Die Umrahmung und die Verzierungen über dem Bild sollen einen Flügelaltar vortäuschen. Im (gemalten) Gesprenge die Datierung 1506 und auf der Schildkonsole links die Aufschrift (zu deutsch): „Dieser Altar ist geweiht worden durch den Hochwürdigsten Christophorus, Bischof von Seckau 1506“.
Die beiden anderen Altarbilder aus der gleichen Zeit sind in ihren Verzierungen wesentlich einfacher und zeigen die Geburt Christi (links) und die Kreuzigung (rechts). Das erste Bild in rechteckigem Rahmen, darüber beblätterte, verschlungene Ranken, das andere gleichfalls in einem rechteckigen Rahmen, darüber ein Bogen und ein einfaches Geranke. Etwa zweihundert Jahre mögen sie als Altaraufsätze gedient haben, dann war man unzufrieden und stellte, der Mode der Zeit entsprechend, Altaraufsätze aus Holz vor, und die Bilder wurden teilweise übertüncht, verstellt und vergessen.
Wir lesen von der Kirche wieder in Verbindung mit den Brandkatstrophen der Jahre 1639 und 1661, denen beide Male der Pfarrhof und mit ihm alle Urkunden, Matriken und Urbare zum Opfer fielen.
„Das arme abgebrannte Gottshaus zu St.Radegund“, heißt es da in den Aufzeichnungen, die allerdings offenlassen, ob dieser Ausdruck wörtlich oder nur als Redewendung zu nehmen ist.
Renovierung im 17. Jahrhundert
Bei der Kirchenvisitation des Jahres 1682 setzten die Renovierungsarbeiten ein. 1687 erhöhte man den Turm. Er bekam ein neues Kreuz und einen neuen Turmknopf. Zwei Jahre später erwarb die Pfarre eine neue Glocke. Sie wog 12 Zentner 70 Pfund und war so groß, dass man das Turmfenster erweitern musste, um die Glocke hineinzubringen. Schwere Opfer mögen diese Anschaffungen der armen Gebirgspfarre bedeutet haben, und Pfarrer Georg Schmälzl , der sie durch fünfzig Jahre betreute, mag wohl zu ihren tatkräftigsten Seelsorgern zählen. Er starb im Jahre 1687. Eine Grabtafel, in die Südwand des Schiffs eingelassen (auf der Höhe der ersten Sitzbank), verewigt sein Wirken.
Abermals ein neues Gesicht erhielt das Gotteshaus im Jahre 1705. Der Kirchturm bekam eine barocke Haube, den „umgestürzten Rettich“, der bis zum Jahre 1898 erhalten blieb.
Josefinismus
In der josefinischen Zeit (1780 bis 1790) hatte die Lehenspfarre ihr Ende gefunden und war dem Religionsfonds zugeteilt worden, der nun das Gebäude mit zu erhalten hatte. Das Pfarrvolk konnte nicht viel tun, denn die Bewohner der Pfarre galten durch das ganze 19. Jahrhundert als sehr arm.
19. Jahrhundert
Als im Jahr 1807 über die Kirche ein Inventar aufgenommen wurde, bewertete man dabei nur nach dem Kauf-, nicht aber nach dem Kunstwert. Der Hochaltar, als Holz und schadhaft, wurde einschließlich des Bildes der hl. Radegundis (von Kollmann) auf 129 fl, die Kirche auf 1500 fl geschätzt.
Im Jahre 1833 gab die alte Turmuhr endgültig ihren Dienst auf. Da eine neue unerschwinglich war, richtete sich der Gottesdienst nach der Sonnenuhr. Hagelschlag und Stürme hatten das Dach so schwer beschädigt, dass der Dachstuhl völlig vermorscht war und die Latten brachen, als ein Arbeiter das Dach bestieg, um es auszubessern. Lange wagte sich niemand an das gefahrvolle Werk. Erst 1848 übernahm der Grazer Zimmermeister Ohmeier die Reparatur, den Turm mitauszubessern, dazu reichten die Geldmittel nicht.
Als die Begeisterung für die Gotik um sich griff, erhielt auch St. Radegund einen neugotischen Hochaltar, entworfen von dem Grazer Architekten Prof. Ortwein. Der neue Altar bekam eine Statue der heiligen Radegundis und Reliefs mit Darstellungen aus ihrem karitativen Wirken. Das Kollmannsche Altarbild wurde auf den Kalvarienberg gebracht. Am 11. Juli 1888 wurde der neue Altar geweiht.
Dennoch muss der Zustand der Kirche trostlos gewesen sein, denn Anton Kauth, Pfarrer seit 1892, schreibt: „Die Wände waren mit einer grauen Tünche überstrichen und diese teilweise abgefallen. Die Altäre, mit Ausnahme des Hochaltars, einfach unwürdig. Die stilwidrige Kanzel hing an einem Pfeiler. Die Bänke senkten sich nach verschiedenen Richtungen …“
Kauth bat 1893 die Statthalterei (Landesregierung) um die Mittel zur Renovierung, wartete aber die Entscheidung gar nicht erst ab, sondern begann auf eigene Verantwortung mit der Innenrenovierung. Beim Abkratzen der Wände kamen Farbspuren zum Vorschein. Darauf ließ der Pfarrer die Arbeiten einstellen und arbeitete tagelang allein mit einem Messerchen an der Ablösung der Tünche. So konnte er die Bilder der Heiligen Sebastian und Andreas in mühevoller Kleinarbeit freilegen.
Nun ließ der Pfarrer den Architekten Ortwein und den akademischen Maler Ludwig von Kurz-Thurn-Goldenstein rufen. Auch hinter den beiden übrigen Altaraufsätzen fanden sich ähnliche Malereien, die eine übertüncht, die andere verstaubt und nahezu unbeschädigt. Die Ausbesserungsarbeiten beschränkten sich auf das unbedingt Notwendige, fast alles konnte im ursprünglichen Zustand belassen bleiben.
Als in der Nacht vom 2. auf den 3. April ein gewaltiger Sturm den größten Teil der Turmbedachung herabgerissen hatte, wurde auch der Turm in die Erneuerung miteinbezogen. Er erhielt das uns bekannte gotische Dach. Seit September 1898 trägt der Turm unserer Kirche nun diesen seinen spitzen Hut.
20. Jahrhundert
Doch auch die jüngere Vergangenheit trug Sorge für die Ausgestaltung unserer Kirche. Pfarrer Karl Winkler ist es gelungen, eine neue Orgel zu schaffen, die von dem Salzburger Orgelbauer Dreher gebaut wurde. Sie wurde am 29. Mai 1949 geweiht und besitzt 15 Register mit über 1200 Pfeifen.
Im Jahre 1959 wurde unter Pfarrer Karl Hopfer das Geläute der Kirche durch die Anschaffung drei neuer Glocken (Tauf-, Ave-, Heldenglocke) vervollständigt. Gleichzeitig wurde auch das elektrische Läutwerk installiert und die „Läuterbuben“ von St. Radegund sind damit auch ein Stück Vergangenheit.
Als im Jahre 1973 die Nordwand des Schulhauses südöstlich der Kirche bei Umbauarbeiten einstürzte, wurde das Haus abgetragen. Kirche und Pfarrhof boten sich nun in ungeschmälerter Stattlichkeit dem freien Anblick dar.
Der Volksaltar des St. Radegunders Gottfried Seirer wurde zu Weihnachten 1974 geweiht – eine sichtbare Folge des zweiten Vatikanischen Konzils.
Die letzte große Kirchenrenovierung begann am 10. August 1981; die Außenarbeiten wurden am 18. April 1982 abgeschlossen. Die Innenrenovierung wurde im Jahre 1984 durchgeführt. Die Sakristei wurde im Jahre 1988 saniert.
Im Jahre 1991 wurde der Kirchplatz neu gestaltet; anstatt der versandeten Kiesfläche umringt nun ein Pflaster aus Porphyr, eingefasst von Grünflächen, unser Gotteshaus.
Autorin: Martina Vicenzi